Das Galeriegrab von Erwitte-Schmerlecke II
Das heute nicht mehr obertägig sichtbare megalithische Grab lag westlich von Schmerlecke in der Feldflur „Hunnenbrink“, nur wenige Meter nordöstlich von Grab I. Es gehört somit ebenfalls zur sogenannten „Soester Gruppe“ der hessisch-westfälischen Megalithik und wurde gleichfalls von Trägern der Wartberg-Kultur errichtet. Die Nutzungszeit konnte auf 3500 bzw. 3400 bis 2900 v. Chr. bestimmt werden. Somit waren beide Gräber der Nekropole gleichzeitig in Benutzung.
Erstmals entdeckt und in kleinen Teilen ausgegraben wurde die Anlage im Jahre 1953. Da ihre genaue Lage zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht vermerkt wurde, geriet sie in Vergessenheit. Zur Wiederentdeckung führten schließlich geophysikalische Messungen und Begehungen in den Jahren 2006 und 2007.
Trotz der intensiven ackerbaulichen Nutzung des Areals waren die Reste des Galeriegrabs deutlich besser erhalten, als die des benachbarten Grabes I. Sie wurden zwischen 2008 und 2013 im Rahmen des Schwerpunktprogramms „Frühe Monumentalität und soziale Differenzierung“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft ausgegraben.
Nähere Informationen zum Großsteingrab
Bauweise
Das Galeriegrab Schmerlecke II ist 20,7 m lang bei einer lichten Weite von durchschnittlich 2 m und ist nahezu ost-west-ausgerichtet. Ursprünglich war die in den Boden eingetiefte Anlage vermutlich einmal 1,6 m bis 1,8 m hoch, wovon bis zu 80 cm obertägig sichtbar gewesen sein dürften.
Zum Bau der Anlage wurden Kalksteinplatten sowie einzelne Felsblöcke verwendet, deren Zwischenräume mit kleineren Kalksteinen abgedichtet waren. Das östliche Kammerende wurde durch Mauerwerk aus kleinen Kalksteinen abgeschlossen. Die Außenseiten der Längswände waren ebenfalls mit einem solchen Mauerwerk umgeben, möglicherweise aus optischen Gründen.
Der Zugang zur Kammer lag leicht dezentral an der nördlichen Längsseite. Die Ausrichtung ist ungewöhnlich, da ost-west-orientierte Megalithgräber in Westfalen ihre Zugänge in der Regel an der Südseite hatten.
Der Kammerboden bestand aus einer Art Estrich aus gestampftem Löss. Besonders ist dabei eine Art Steg, der mittig in der westlichen Kammerhälfte entlang der Längsachse verlief. Die Kammer war zudem durch einige Querwände in mehrere Abteile unterteilt, ein langschmaler Kalkstein wurde senkrecht aufgestellt und diente vermutlich zur Abstützung der Deckenkonstruktion. Im Zuge der Grabungen konnte festgestellt werden, dass die Decke nicht aus Steinplatten bestanden haben kann, sondern aus Holzbalken gebildet worden sein musste. Auf der Deckenkonstruktion war eine rund 10 cm mächtige Schicht aus Kalksteinbruchstücken aufgebracht, die möglicherweise zu deren Schutz diente.
Funde
Bei den Grabungen konnten sehr viele Einzelfunde aus dem Kontext des Grabes geborgen werden. Dabei handelt es sich um Schmuck- und Trachtbestandteile sowie um Waffen und anderweitige Geräte.
Die Objekte sind nicht nur wegen ihrer Masse besonders, sondern zeichnen sich auch durch eine hohe Qualität aus. Insgesamt konnten über 1200 Schmuckanhänger aus Hunde- und anderen Tierzähnen geborgen werden, auch kommen Bernstein- oder Jetperlen vor. Besonders ist die relativ hohe Anzahl von Kupferobjekten aus Grab II, die in Form von Spiralen oder kleinen Plättchen vorliegen. Daneben wurden noch zahlreiche Feuersteingeräte und Pfeilspitzen aufgedeckt. Neben lokalem Silex wurde auch Rijckhold- und Lousberg-Feuerstein für diese Verwendet. Keramikfunde sind wie für die Wartberg-Kultur üblich nur in geringen Stückzahlen vorhanden, ein Stück kann auf um 3000 v. Chr. datiert werden.
Die Funde weisen wie bei Grab I auf enge Beziehungen zur benachbarten Trichterbecher-Westgruppe hin. Zusätzlich zeugen vor allem die Kupfer- und Silexartefakte von bedeutenden Fernkontakten.
Die Toten aus Grab II
Die teilweise sehr gut erhaltenen, über 20.000 Knochen- und Zahnfragmente wurden mit unterschiedlichen Methoden und modernsten Hilfsmitteln untersucht. Die gute Knochenerhaltung ermöglichte belastbare Aussagen und weitergehende Untersuchungen, die bislang noch nicht abgeschlossen wurden.
Anhand der Oberschenkelknochen wurde die Mindestzahl an Bestattungen auf 216 bestimmt, die durch die erhaltenen Zähne auf 324 korrigiert werden konnte. Dabei wurden alle Altersklassen und beide Geschlechter in dem Grab bestattet. Vor allem die Knochen der jüngeren Toten wiesen durchweg Spuren von Mangelerscheinungen auf. Die der adulten Bestatteten zeigten ebenfalls krankhafte Veränderungen, vielmehr jedoch Anzeichen von starker körperlicher Belastung.
Wie bei Grab I wurden auch für Grab II die Isotopenwerte bestimmt. Demnach ernährten sich die hier Bestatteten ebenfalls von pflanzlicher und von hochproteinreicher Nahrung, also von Fleisch. Allerdings weisen die Werte einen deutlich höheren Fleischanteil der Ernährung aus. Dies korrespondiert mit der sehr geringen Kariesintensität von nur 1,81%, gemessen an insgesamt 4534 Zähnen. Demnach könnte es sich bei dieser Bestattungsgemeinschaft um eher an der mesolithischen Lebensweise orientierte Individuen gehandelt haben.
Literatur
S. Klingner/K. Schierhold/M. Baales/R. Gleser/M. Schultz, Die Toten in den Galeriegräbern von Erwitte-Schmerlecke – erste Erkenntnisse. AiWL 2011, 2012, 50-52.
S. Klingner/M. Schultz, Physical strain on megalithic grave builders from Wartberg and Funnel Beaker Culture in Northern Germany – Erwitte-Schmerlecke, Völlinghausen, Claden I, Großenrode II and Rheine. In: J. Müller/M. Hinz/M. Wunderlich, Megaliths – Societies – Landscapes. Early monumentality and social differentiation in Neolithic Europe, Vol. 1, Proceedings of the international conference 16th – 20th June 2015, Kiel, Frühe Monumentalität und soziale Differenzierung 18,3 (Bonn 2019) 1083-1098.
K. Schierhold, Case study of Erwitte-Schmerlecke, Westphalia. An archaeological contribution to Hessian Westphalian megaliths and their role in early monumentality of the Northern European plain, in: J. Müller/M. Hinz/M. Wunderlich, Megaliths – Societies – Landscapes. Early monumentality and social differentiation in Neolithic Europe, Vol. 1, Proceedings of the international conference 16th – 20th June 2015, Kiel, Frühe Monumentalität und soziale Differenzierung 18, 1 (Bonn 2019) 289-318.
K. Schierhold/S. Klingner/E. Cichy/M. Baales, Häuser für die Toten – die spätneolithischen Galeriegräber in Erwitte-Schmerlecke. AiWL 2010, 2011, 35-38.