Das Galeriegrab von Erwitte-Schmerlecke I
Das heute nicht mehr obertägig sichtbare megalithische Grab lag westlich von Schmerlecke auf dem höchsten Punkt der Feldflur „Hunnenbrink“. Es gehört zu der sogenannten „Soester Gruppe“ der hessisch-westfälischen Megalithik und liegt am nördlichen Rand des Verbreitungsgebiets der Wartberg-Kultur, der es aufgrund der Funde und der Bauweise auch zugeschrieben werden kann. Die Nutzungszeit konnte auf 3500 bzw. 3400 bis 2900 v. Chr. bestimmt werden.
Erstmals entdeckt wurde die Anlage bereits 1880. Zum damaligen Zeitpunkt wurden große Teile des Grabes aufgedeckt und der Großteil der zum Bau verwendeten Kalksteinplatten entfernt oder zertrümmert. Eine genaue Lokalisierung war lange Zeit nicht möglich, bis 2006 und 2007 geophysikalische Messungen sowie Surveys zur Wiederentdeckung des Grabes führten. Zum damaligen Zeitpunkt wurde die Anlage allerdings noch nicht mit dem 1880 zerstörten Monument gleichgesetzt, sondern für ein neues Grab III gehalten. In den folgenden, langwierigen Ausgrabungen konnte dieser Irrtum jedoch ausgeräumt werden. Das in der Literatur teilweise erwähnte Grab III muss also mit Grab I gleichgesetzt werden.
Die Reste des Galeriegrabs wurden zwischen 2008 und 2013 im Rahmen des Schwerpunktprogramms „Frühe Monumentalität und soziale Differenzierung“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft ausgegraben.
Nähere Informationen zum Großsteingrab
Bauweise
Für das west-ost-ausgerichtete Galeriegrab Schmerlecke I konnte eine Länge von 25 m bei einer Breite von 4,1 m im Osten und bis zu 5,3 m im Westen festgestellt werden, sodass sich ein leicht trapezoidaler Grundriss ergibt. Es hatte ursprünglich eine Höhe von etwa 1,7 bis 1,9 m, wovon rund 0,5 bis 0,7 m oberirdisch sichtbar gewesen sein dürften.
Die bei ihrer Freilegung bereits stark zerstörte Anlage wurde aus 28 Kalksteinplatten und Blöcken aus Felsgestein errichtet, wie deren Fundamentgruben anzeigten. An einigen Stellen waren Lücken zwischen den Wandsteinen sorgfältig mit Mauerwerk aus kleinen Kalksteinen und Lehm verschlossen. Die Außenseiten der Längswände waren mit einem abgerundeten Mauerwerk aus kleinen Kalksteinen verkleidet. Statisch erfüllt diese Konstruktion keinen Zweck, sie hatte vermutlich optische Gründe, da die Anlage dadurch Großsteingräbern der Trichterbecherkultur ähnelte. Die Schmalseiten waren jeweils durch große megalithische Platten ohne zusätzliches Mauerwerk verschlossen.
Der Zugang lag an der nördlichen Längsseite, was eine Seltenheit unter den westfälischen Megalithgräbern darstellt. Er bestand aus einem kurzen Gang, der ca. 3 m östlich der Mitte der Längsachse lag.
Das Kammerinnere war ursprünglich von einem Bodenpflaster aus rötlichen Granitgeröllen versehen. Pfostenlöcher im Inneren der Grabkammer sprechen dafür, dass die Anlage ursprünglich mit einer Deckenkonstruktion aus Holzbalken versehen war.
Funde
Bei den Grabungen konnten sehr viele Einzelfunde aus dem Kontext des Grabes geborgen werden. Dabei handelt es sich um Schmuck- und Trachtbestandteile sowie um Waffen und anderweitige Geräte.
Die Objekte sind nicht nur wegen ihrer Masse besonders, sondern zeichnen sich auch durch eine hohe Qualität aus. Insgesamt konnten über 2000 Schmuckanhänger aus Hunde- und anderen Tierzähnen geborgen werden. Daneben kommen auch Perlen aus Jet und Bernstein sowie Objekte aus Kupfer vor. Als für Megalithgräber bislang einzigartiges Stück ist ein Hundezahnanhänger zu bezeichnen, der Spuren von Kupfer zeigt und somit ein Kombinationsschmuckstück darstellt. Ebenfalls besonders ist eine steinerne Doppelaxt des Typs Hannover, die als Prestigeobjekt zu bezeichnen ist. Daneben wurden noch zahlreiche Feuersteingräte und Pfeilspitzen aufgedeckt. Keramikfunde sind wie für die Wartberg-Kultur üblich nur in geringen Stückzahlen vorhanden, bemerkenswert sind Scherben mit Tiefstichverzierung.
Die Funde, vor allem die Tiefstichkeramik, die trapezoiden Pfeilspitzen, die Bernsteinperlen und die Doppelaxt, weisen auf enge Beziehungen zur benachbarten Trichterbecher-Westgruppe hin. Zusätzlich bezeugen die Kupferartefakte weitreichende Fernkontakte.
Die Toten aus Grab I
Die über 11.000, größtenteils stark fragmentierten Knochen- und Zahnteile wurden mit unterschiedlichen Methoden und modernsten Hilfsmitteln untersucht. Vor allem mit Hilfe der Zähne konnte eine Mindestanzahl an Bestattungen bestimmt werden, die bei 446 liegt und somit alle vorherigen Kalkulationen weit überschreitet. Insgesamt wies der Großteil der Knochen Spuren von Mangelerscheinungen und Entzündungskrankheiten oder Anzeichen für hohe körperliche Belastung auf.
Ein interessantes Ergebnis erbrachte die Analyse der Isotopenwerte, mit deren Hilfe Rückschlüsse auf die Ernährung der Menschen möglich sind. Demnach ernährten sich die Bestatteten aus Grab I von pflanzlicher Nahrung in Form von Getreide und Wildpflanzen und von hochproteinreicher Nahrung, also von Fleisch, primär von an Land lebenden Tieren. Die geringe Kariesintensität von 3,8 %, gemessen an insgesamt 5902 Zähnen, spricht für eine überwiegend fleischlastige Ernährung.
Literatur
S. Klingner/K. Schierhold/M. Baales/R. Gleser/M. Schultz, Die Toten in den Galeriegräbern von Erwitte-Schmerlecke – erste Erkenntnisse. AiWL 2011, 2012, 50-52.
S. Klingner/M. Schultz, Physical strain on megalithic grave builders from Wartberg and Funnel Beaker Culture in Northern Germany – Erwitte-Schmerlecke, Völlinghausen, Claden I, Großenrode II and Rheine. In: J. Müller/M. Hinz/M. Wunderlich, Megaliths – Societies – Landscapes. Early monumentality and social differentiation in Neolithic Europe, Vol. 1, Proceedings of the international conference 16th – 20th June 2015, Kiel, Frühe Monumentalität und soziale Differenzierung 18,3 (Bonn 2019) 1083-1098.
K. Schierhold, Case study of Erwitte-Schmerlecke, Westphalia. An archaeological contribution to Hessian Westphalian megaliths and their role in early monumentality of the Northern European plain, in: J. Müller/M. Hinz/M. Wunderlich, Megaliths – Societies – Landscapes. Early monumentality and social differentiation in Neolithic Europe, Vol. 1, Proceedings of the international conference 16th – 20th June 2015, Kiel, Frühe Monumentalität und soziale Differenzierung 18, 1 (Bonn 2019) 289-318.
K. Schierhold/S. Klingner/E. Cichy/M. Baales, Häuser für die Toten – die spätneolithischen Galeriegräber in Erwitte-Schmerlecke. AiWL 2010, 2011, 35-38.